Monatsarchiv: Oktober 2017

Die Fragen lieb haben: Rilke

Über die Geduld

(von Rainer Maria Rilke)

Man muss den Dingen  die eigene, stille  ungestörte Entwicklung lassen,  die tief von innen kommt

 und durch nichts gedrängt  oder beschleunigt werden kann,  alles ist austragen – und  dann gebären…

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt  und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.  Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,  die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,  so sorglos, still und weit…

 Man muss Geduld haben  Mit dem Ungelösten im Herzen,  und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,  wie verschlossene Stuben,  und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache  geschrieben sind.

 Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,  ohne es zu merken,  eines fremden Tages  in die Antworten hinein.

 Anmerkung:  Diese Zeilen stammen aus einem Brief von Rainer Maria Rilke „an einen jungen Dichter“ (Franz Xaver Kappus), in dem sie eingestreut sind.  

An Franz Xaver Kappus

z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903

(…)

Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. 

Wer’s mit Musik und Bildern mag: https://www.youtube.com/watch?v=PdoXM2Fyrbc

Viel Geduld und Gelassenheit wünscht Sudi

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Schreibend da sein – voll und ganz

 

Ich bin Susanne Diehm, Autorin, Schreibcoach und Schreibtherapeutin. Überzeugt vom Gesundheitsfördernden Kreativen Schreiben. Wenn ich dieses Methodenrepertoire nicht gehabt hätte, wäre es mir schwer gefallen all die Schicksalsschläge zu überleben, die sich mir von Mai 2016 bis Mai 2017 in den Weg stellten, mich stolpern ließen und mir widerfahren sind: Mir sind fünf Menschen weggestorben, mit denen ich eng verbunden war.

Und dann auch noch das 10-jährige Kaninchen meiner Tochter. Ich erwähne dieses weiße Kaninchen Benedice, weil ihr Tod dann das Weinen auslöste, das ich mir bislang verkniffen hatte. Weil ich stark sein musste für meine Kinder, die u.a. ihren Vater verloren hatten. Weil ich verkraften musste, dass nichts mehr war wie zuvor.

Schreibend habe ich mich den Situationen genähert, vor denen ich im Hellen und im Dunklen Angst hatte zu begegnen. Habe ich geschaut, wo meine Kraftressourcen liegen. Habe ich verstanden, warum ich leben wollte trotz aller Verluste. Habe ich in unseren Workshops zu GKS, dem Gesundheitsfördernden Kreativen Schreiben, mitgeschrieben und es hat mir sehr gut getan. Auch wenn ich weiß, dass meine Teamkollegin Jutta Michaud und ich diese Übungen suggestiv konzipiert haben, um den Blick auf die positiven Seiten des Lebens zu richten:

Ich vertraue diesen Übungen, ich empfinde sie als heilsam.

Das kann man doch auch denkend, sagen viele im ersten Moment. Denkend Dinge klären. Sich auseinander setzen mit Situationen. Aber so ist das nicht für mich. Obwohl ich Workshops leite und Menschen leicht einen Bezug zu mir finden, trotzdem fühle ich mich eher introvertiert als extrovertiert. Ich komme an mich nur heran, wenn ich schreibe. Im Reden bleibe ich beruflich obenauf, kann intellektuell Situationen begreifen und mit ihnen umgehen. An meine verschütteten Gefühle komme ich nur schreibend. Achtsamkeitsübungen helfen, Meditation hilft, mit Freunden reden hilft – aber ich brauche das Schreiben, um es aus dem Herz durch die Haut auf das Papier und damit in die Welt zu bringen.

Ich brauche das Schreiben, um mich selbst zu akzeptieren. Anzuerkennen, dass ich schreibend reflektieren muss, mich nicht redend und plappernd finden kann, sondern entweder wortlos und über Körpersprache mich ausdrücke, oder eben schreibend. Reden ist nicht mein Medium, obwohl es mein Metier ist und ich gut funktioniere in den Workshops und vor allem in der Einzelberatung.

Um bei mir zu sein, muss ich schreiben. Kann ich schreiben, darf ich schreiben. Bin ich glücklich beim Schreiben. Atme und lebe ich beim Schreiben. Und damit finde ich die Balance und kann auch da sein für andere. Ob die nun schreiben oder nicht, entscheiden sie selbst. Ich kann es nur empfehlen.

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