28. November 2011 · 13:52
Besonders gefreut hat mich, dass nicht nur bei der Veranstaltung in der Urania Texte entstanden sind, sondern auch danach. Günter Kranz hat eine Anregung von mir aufgegriffen: Ich sagte, man könne über alles schreiben, zum Beispiel auch einen Dialog zwischen … einem Eiswürfel… und einem Klavier! Prompt hat er ihn geschrieben, diesen Dialog, und ich finde, das ist ihm wunderbar gelungen. Mit wem identifizieren Sie sich: Mit dem kleinen Eiswürfel, der dahin schmilzt, aber zufrieden ist mit seinem Leben, oder mit dem Klavier, das für höheres geboren scheint?
Das Klavier und der Eiswürfel. Ein Dialog.
Klavier: Du machst einen frostigen Eindruck! Was ist denn los?
Eiswürfel: Die Party ist vorbei! Und ich liege allein in diesem nassen Kübel. Ich wäre lieber in einem hochprozentigen Drink gelandet, aber es ist niemand mehr da, der trinken will. Pech gehabt! Na ja, vielleicht beim nächsten Mal!
Klavier: Pech? Sei doch froh, dass du nicht von einem dieser grässlichen Menschen geschlürft worden bist! So bleibt dir noch ein wenig mehr Zeit zum Leben. Doch, was sage ich, Zeit zum Leben! Du liegst da und schwitzt und wirst verschwunden sein, ehe die Sonne aufgeht. Ich beneide dich nicht, kaum bist du erschienen, musst du schon wieder vergehen. Ob im Glas oder im Kübel, das ist ja wohl einerlei.
Eiswürfel: Hast du eine Ahnung! Ich liebe es, wenn die Gläser überschwappen von hochprozentigen Getränken, ich liebe es, mich im Rausch des Alkohols langsam zu verlieren. Herrlich!
Klavier: Jedenfalls hat keiner dich angerührt!
Eiswürfel: Was du nicht sagst! Und wer hat heute die Musik gemacht? Wer hat dich denn beachtet, geschweige denn berührt? Niemand. Sie haben Musik von der Scheibe vorgezogen, lauten Hiphop statt romantischer Etüden!
Klavier: Du hast recht, aber wer kann denn heute noch Klavier spielen? Doch wie dem auch sei! Ich bin froh, wenn sie mich in Ruhe lassen! Mit dir möchte ich jedenfalls nicht tauschen! Hier stehe ich und werde noch stehen, wenn Generationen von Eiswürfeln geschmolzen sind. Nein, ich bin zufrieden mit meinem Leben. Gut, ein Leben als Flügel, das würde mir besser gefallen! Stell dir vor, ich wäre ein Steinway, groß und glänzend, und ich stünde in
einem schicken Salon mit goldgewirkten Vorhängen und persischen Teppichen. Oder in einem großen Konzerthaus! Na ja, ich bin trotzdem zufrieden! Klavier sein genügt mir.
Eiswürfel: Ich verstehe, was du meinst! Du magst dein statisches Leben, es gibt dir Sicherheit, immer und ewig am selben Platz zu stehen. Es schmeichelt dir, wenn ab und zu ein Stümper auf dir herum klimpert. Du genießt es, wenn du poliert wirst, und wenn ab und zu der Typ mit dem Werkzeug kommt und dich stimmt, dann ist für dich doch ein Festtag, oder nicht? Stimmen! Allein dieses Wort! Du stimmst nicht aus dir selbst, du musst erst gestimmt werden! Und du bist unzufrieden, weil du gerne etwas noch gewichtigeres und noch bedeutenderes sein würdest. Ein Flügel! Ausgerechnet ein Flügel! Flügel, der
Inbegriff der Leichtigkeit und Eleganz! Mit Flügel assoziiere ich Adler, Taube, Schweben, auf Luft gleiten! Und du träumst von einem Leben als ein plumper Kasten, dessen Eigenschaften nichts mit alledem zu tun haben. Ein Kasten, der sein Gewicht Tag und Nacht, Jahr für Jahr in dasselbe Parkett desselben stickigen Zimmers presst. Was für ein Leben!
Klavier: Und du? Du bist doch ein Nichts, du hältst kaum eine Stunde, dann bist du weg. Ich möchte mit dir nicht tauschen, nein, wirklich nicht. Was soll an einer solchen Existenz interessant sein?
Eiswürfel: Gut, ich lebe nur für kurze Zeit, und heute habe ich meine Bestimmung nicht erfüllt. Schau, ich schmelze dahin, in kürzester Zeit werde ich ein Klecks Wasser sein und in den ewigen Kreislauf der Dinge zurückkehren. Und dann werde ich wieder geboren und beginne von vorn. Das macht mich froh! Doch du, du stehst da wie ein Klotz, stehst und stehst und langweilst dich. Und trauerst, dass du kein Flügel geworden bist. Sieh mich an, ich bin
zufrieden mit meinem Schicksal, ich will nichts sein als ein Eiswürfel, der, kaum dass er entstanden ist, wieder vergeht.
Klavier: Mir macht das Angst! Der Gedanke an das Vergehen, meine ich. Der macht mir Angst. Deshalb bin ich gerne hier. Mein Gewicht gibt mir Sicherheit. Ich will gar nichts erleben, wer weiß, was alles passieren könnte. Nein, ich bin zufrieden, dass ich hier stehe und dass ich meine Ruhe habe. Gut, ein Flügel zu sein, das wäre mein Traum, ein herrlicher schwarzer Flügel, dessen Klang durch die Wände des Hauses bis auf die Straßen klänge. Auf den die Gäste schauten, wenn sie ins Zimmer kämen. Vor dem der Meister mit geschlossenen Augen säße, mit verträumtem Gesicht, mit leichter Hand über die Tasten
gleitend. Niemals dürften diese grässlichen Kinder auf mir üben und mich quälen! Nun ja. Ich will nicht klagen. Als Klavier geht es mir gut. Mir kann so schnell nichts passieren, ich stehe hier und werde immer hier stehen.
Eiswürfel: Nun ja…
Klavier: Weißt du, es tut mir gut, mit dir zu sprechen! Du verstehst mich! Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein so anregendes, ja ich möchte fast sagen freundschaftliches Gespräch geführt zu haben. Ich könnte die ganze Nacht mit dir plaudern! Ich hoffe, du empfindest
das genau so! Eiswürfel? Eiswürfel?
Günter Kranz, Berlin