25. April 2018 · 09:44
Hallo,
ich bin Bea. Beatrice, meine Eltern kommen aus Italien. Ich bin Mitte Dreißig, und ich hatte Eierstockkrebs, das ist eine tückische Krankheit, die meist viel zu spät erkannt wird. So lebe ich drei Jahre nach der Operation in der Hoffnung, dass es nicht zu einem Rezidiv, -einem Rückfall- kommt und mir mein Arzt dann sagen muss, dass ich unheilbar bin. Ich will alles tun, damit das nicht passiert – und gleichzeitig lernen, beim möglichen Wiederauftreten der Krankheit so gelassen zu sein, damit auch bis zum letzten Atemzug gut umzugehen. Das ist einer der Gründe für mich, in die Schreibgruppe an der Charité zu gehen: Selbstfürsorge. Die Zeit dort tut mir gut – ich fühle mich endlich nicht mehr nur als Krebspatientin, sondern als eine Frau, die alles Mögliche ist: Sportlerin, Partnerin, Freundin, Tante, – und ganz nebenbei eine Frau, die mit einer Diagnose konfrontiert wurde, von der sie nie geträumt hätte, sie mal übermittelt zu bekommen.
Neulich habe ich mir überlegt, warum ich so gerne in diese Schreibgruppe gehe, obwohl dort auch Frauen sind, bei denen ein Rezidiv aufgetreten ist und die nun gesagt bekommen haben, dass sie nach menschlichem Ermessen nicht geheilt werden können. Müsste ich den Kontakt nicht scheuen, dankbar sein, zumindest vorläufig ‚davon gekommen‘ zu sein? Seltsamerweise ist das nicht so, ich laufe nicht weg. Das habe ich gelernt: Es bringt nichts, wegzulaufen vor Problemen oder unangenehmen Lebenstatsachen. Im Gegenteil: Ich bewundere diese Frauen, die -zumindest in diesen zwei Stunden in denen das Schreibseminar stattfindet- so souverän mit ihrer Krankheit umgehen. Da zehre ich davon, das sind mir Vorbilder, obwohl mir bei manchen Geschichten fast die Tränen kommen.
Wir schreiben aber beileibe nicht nur über die Krankheit oder erstellen „Bucket-Listen“, auf denen steht, was es noch zu erledigen gilt, bevor wir alle tot umfallen. Nee, so läuft das nicht. Es geht eher um… aber vielleicht schildere ich einfach mal, wie es abläuft, diese Zeit, die wir uns ganz bewusst gönnen.
Wir haben den ‚Malraum‘ in der Frauenklinik für uns. Das ist ein schöner Raum mit Blick ins Grüne, das Krankenhaus mit seinen Gerüchen nach Desinfektionsmittel, in manchen Bereichen auch Lavendel, ist ausgeschlossen, wenn alle da sind und die Tür sich schließt. Unsere Schreibgruppenleiterinnen Jutta und Susanne haben uns immer ‚etwas mitgebracht‘. So empfinde ich es , wenn ich bunte Schreibanregungen, Bilder, Bücher auf dem Tisch sehe. Immer auch eine zusätzliche Anregung, die ich nach Hause nehmen kann. Sie haben gerade gemeinsam mit Professor Sehouli ein Buch veröffentlicht, ‚Mit Schreiben zur Lebenskraft‘. Das lag da schon, es ist ein Übungsbuch, und ich freue mich darauf, es am 13. Mai beim Kongress ‚Schreiben gegen Krebs‘ kostenlos zu erhalten – als Patientin der Frauenklinik bekomme ich es, die Stiftung Eierstockkrebs hat es gesponsert. Geblättert habe ich schon darin, einige der Übungen kamen mir vertraut vor, aber andere kannte ich noch gar nicht. Ich bin gespannt, ob ich da auch erreichen kann, was mir hier so oft passiert: Ich verfalle in einen Schreibflow, schreibe total selbstvergessen, so wie jetzt hier, einfach Gedankenfetzen, die mir durch den Kopf ziehen halte ich fest – unglaublich, was da in so kurzer Zeit auf das Papier kommt. Am Anfang hatte ich Angst, ich war im Deutschunterricht immer schlecht gewesen, immer gab es was zu mäkeln. Aber hier geht es ja nicht darum, einen Essay formgerecht auf das Papier zu bringen, wir schreiben kreativ, und meinen Gefühlen nach zu schließen, wenn ich nach Hause gehe, ist das Ganze tatsächlich gesundheitsfördernd. Meine kleine Hemmung zu Beginn hab ich spätestens dann überwunden, wenn alle Stifte auf dem Papier kratzen und ich automatisch auch anfange, irgendwas zu schreiben – ganz im Vertrauen darauf, dass mein Erfahrungswissen mir schon etwas einflüstern wird, dass ich gar nicht beginnen muss zu denken, sondern fühlen und erinnern darf und das in Worte übersetze was da aus mir sprudelt wie ein unversiegbarer Quell. Wie kommt das nur, dass ich müde ankomme und nach zwei Stunden beschwingt das Haus verlasse?
Es liegt zum Einen an der Atmosphäre: Zugewandte Teilnehmerinnen und zwei Schreibtrainerinnen, die einen Uniabschluss haben im Biografischen und Kreativen Schreiben, aber auch Ahnung von Therapie. Vor allem wissen sie, wie man eine gute Energie erzeugt. Sind total unterschiedlich, die eine eher diszipliniert und energisch, die andere eher mütterlich-duldsam – in der Mischung einfach ein perfektes Team! Sie geben mir das Gefühl, dass sie auf mich aufpassen, wenn ich dort bin, dass sie da sind, falls beim Schreiben etwas hochkommt, das mich ängstigt oder mich traurig macht.
Zu Beginn, als ich mich zum Schreiben dieses Artikels hingesetzt hatte, wollte ich schreibend Vermutungen darüber anstellen, wie das kommt, dass Kreative Therapien uns gut tun, aber jetzt bin ich schon wieder abgeschweift, immer noch Chemo-Brain? Also nochmal ein Versuch:
Warum hat das Schreiben, das sich ausdrücken, so eine heilende Kraft?
Ich bin ja Sportlerin, und wenn ich ordentlich in Bewegung war, dann wird mein Körper von Endorphinen geflutet. Ähnlich ist es auch, wenn ich in Schreibflow gerate, mit allen Sinnen eine Erinnerung aufschreibe, stolz darauf bin, wie ich in der Vergangenheit eine Krise bewältigt habe, im Präsens eine Szene aufschreibe, die erst noch kommt, aber in der ich mich gesund und munter sehe. Ich vermute ja, mit ihren Schreibimpulsen manipulieren sie uns, den Blick auf das zu lenken, was noch möglich ist, die kleinen Glücksgefühle wahrzunehmen und nicht nur das große Schlamassel. Wobei wir hier auch mal ein Wut-Gedicht schreiben oder ein Manifest, oder… ja, es sind jede Menge Techniken und Methoden, die uns in der Schreibgruppe immer wieder überraschen. Das Neue lockt, es führt uns in die Kreativität, und wenn ich mich dann im Flow befinde – ich glaube, dass dann ein Hormoncocktail ähnlich wie beim Sport sich über meinen Körper ergießt… das hält eine ganze Weile an, manchmal habe ich sogar die Vorstellung, dass ich dieses Gefühl erzeugen kann, selbst wenn ich nicht schreibe, sondern nur so vor mich hindöse… Alphawellen vielleicht? und schreibend komme ich an mein Erfahrungs-Bewusstsein, all das, was meine Körperzellen als Erinnerung gespeichert haben, Dinge, an die ich mit dem denkenden Bewusstsein nicht mehr herankomme… Grenzbereiche, die ich ins Bewusstsein hole, indem ich schreibe.
Was macht das Schreiben mit mir?
Ich werde wieder Ich, und bin nicht nur eine ‚Krebspatientin‘.
Ich spüre meine Problemlösungs-Kompetenz, auch bei schwierigen Themen: Stift rausholen, drüber schreiben, und schon gibt es eine Lösung
Ich stehe zu meinen Gefühlen, finde meine innere Stärke und baue eine neue Kraft und Verbindung zu anderen Menschen auf.
Ich entdecke mich im Dialog, ich spreche wieder freundlicher mit mir. Wenn mal keiner da ist: Ich bin nicht einsam, schließlich hab ich mich…
Und ich freue mich schon auf die nächste Schreibstunde, das Schreibseminar, in dem ich meine Texte teilen kann… und aufmerksame Zuhörer finde… denn das ist noch einmal ein besonderer Moment. Vielleicht sogar ein Grund, auch darüber einmal zu schreiben!
Eure Bea