„Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ im Heyne Verlag

Zu Beginn der Lesung dankte Prof. Jalid Sehouli seinem Verleger Tobias Winstel vom Heyne-Verlag: Jeder Autor brauche jemanden, der an ihn glaube und sich für die Veröffentlichung ins Zeug legt. Über die Kommunikation der schlechten, aber auch der guten Nachricht haben Tobias Winstel und Jalid Sehouli lange Gespräche geführt. Jetzt gibt es für Ärzte ein Handbuch mit Materialien, die auch den Naturwissenschaftler inspirieren und der Macht der Worte bewusst machen können. „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ ist soeben im Heyne Verlag erschienen und wurde gestern im Theatersaal des Pfefferberg-Theaters gemeinsam mit dem Buch von Denis Utlu „Vaters Meer“vorgestellt.

Dr. Adak Pirmorady, Humanmedizinerin mit Ausbildung zur Analytikerin, die psychosomatische Ambulanz an der Charité leitend am Standort Benjamin Franklin, vertrat Anliegen der Patientinnen. Therapeutisches Zusammenwirken im Team kann so viel Kraft schenken, Soziales Wohlbefinden kann so heilsam wirken. In der Europäische Künstlergilde für Medizin und Kultur setzt sie sich dafür ein, dass Kultur und Medizin miteinander verschränkt werden.

Eine Kunst, die Kommunikation 

Tobias Winstel und Jalid Sehouli sind Visionäre, die vorweg nehmen, was kommt, kommen muss: Menschen im Krankenhaus wird so oft ihre Würde genommen; sie sind über die Negativ- Nachrichten und bestenfalls „Normalbefunde“ derart verunsichert, dass sie eine neue Art des Umgangs und der Kommunikation brauchen. Dafür sorgt dieses Buch als Handlungsanleitung oder zumindest Reflektionsraum für Ärzte und andere Berufsgruppen, die tagtäglich als schlimm empfundene  Nachrichten überbringen müssen. 

Auch Angehörige wollen nicht im Rezeptionsbereich abgespeist und darüber aufgeklärt werden, dass die Mutter nur noch palliativ zu behandeln sei und die Überlebenschancen viel schlechter sind als erwartet. So geschehen in einer Praxis in Heidelberg, die sonst einen guten Ruf (zu verlieren) hat. Bei aller verständlichen Zeitnot: Mich hat schockiert, dass der Arzt sich zwar bewusst war über diesen so unglücklichen Kommunikationszeitpunkt,  aber meinte, die Geste hin zum überfüllten Wartezimmer entschuldige alles, auch den Schock im Flur, den er mir damit verpasste. Hier wurde nicht in die Beziehung Arzt/Patient/Angehörige investiert – leider. Es hätte die Botschaft anzunehmen leichter gemacht. 

Den Umgang von einfühlsamen Angehörigen, die alles Erdenkliche tun, um ihren Liebsten eine Hilfe zu sein, und die aber von Ärzten vor den Kopf gestoßen werden, auch das thematisiert Denis Utlu in seinem Buch.

Ein „Normalbefund“ ist ein Geschenk

In meiner Arbeit als Schreibtherapeutin hier und da habe ich schon die unmöglichsten Geschichten über lakonische Bemerkungen von Ärzten gehört, die wiederzugeben mir der Anstand verbietet. Dabei ist die Macht der Worte so groß: Wenn Jalid Sehouli „Normalbefunde“ feiert, dann zeigt das, wie unkonventionell man mit Althergebrachtem umgehen kann. Ein „Normalbefund“ ist für jemanden in Not nicht „normal“, sondern ein großes Geschenk. Die Perspektive zu wechseln und sich in Patienten einzudenken, diese Chance nimmt Jalid Sehouli, auf. Wohl auch, weil er es als Einwandererkind von in Marokko geborenen Eltern immer ungewöhnliche Wege ging und lernte, bei Gegenwind nicht aufzugeben und auch nicht zu verhärten. Immer biegsam in seiner Haltung den Menschen gegenüber, immer lernbereit, trotz großer Widerstände. Den Bezug und die Liebe zu seinen Eltern, insbesondere dem gerade verstorbenen Vater, gab er gestern in einer „Welturaufführung“ Raum: Authentisch, unmittelbar und zutiefst menschlich trafen die Abschiedsworte an seinen Vater mitten ins Herz. 

Magische Momente schaffen

„Jedes Gespräch ist ein magischer Moment“, so sagte Jalid Sehouli.

„Schreiben Sie einen Brief, an jemanden, den Sie lieben und den Sie fürchten, zu verlieren“ war seine Schreibempfehlung des Abends. „Wir kranken daran, dass es nur noch Befunde gibt und keine Geschichten mehr“. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, Adak Pirmorady, Tobias Winstel, Jalid Sehouli und. Denis Utlu waren sich einig:  Narrativ in den Ausdruck zu kommen, hilft enorm, mit dem umzugehen, was unerträglich scheint. 

Magische Momente, die von Begegnung erzählen, halten wir in der Schreibgruppe an der Frauenklinik der Charité oder im Cancer Survivors Home fest, bewahren sie oder ziehen sie fiktional herbei. Damit sie eine Chance haben, in die Welt zu kommen. Wer schreibt, der bleibt nicht nur, sondern er wird, er entsteht. Weil Schreiben beflügelt!

Mehr dazu:

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter AKTUELLES

Hinterlasse einen Kommentar